In den Jahrhunderten nach Meirotheas Abschied verfiel die Menschheit nicht erneut in Schweigen. Ihre kostbaren Gaben blieben bestehen.
Mit der Sprache benannten wir Flüsse und Himmel. Mit Liedern erinnerten wir uns. Und mit Symbolen begannen wir, Zeit und Ereignisse zu kennzeichnen. Unsere Völker zogen noch immer umher, doch nicht mehr wie Tiere. Wir zähmten die Wildnis auf bescheidene Weise. Wir lernten zu verfolgen, zu sammeln, zu jagen – nicht mehr aus Verzweiflung, sondern mit Absicht. Die ersten Weisen traten hervor, jene, die mit Wind und Feuer sprachen. In Höhlen und auf Steinen ritzten wir unsere Gedanken, malten unsere Geschichten. Die ersten Druiden erhellten die Lichtungen, und die ersten Schamanen horchten zu den Sternen.
Doch Wissen allein stillt keinen Hunger, und Erinnerung wärmt kein Kind.
So sandte das Göttliche in Seiner unendlichen Barmherzigkeit Demira, die Dritte Erlöserin.
Wo Meirothea der Seele eine Stimme gegeben hatte, schenkte Demira dem Körper Stärke und der Hand Sanftheit. Sie kam nicht in Glanz oder Pracht, sondern mit Samen, mit Werkzeugen und mit Fürsorge. Sie wandelte unter den Demütigen und Erschöpften, gekleidet in Grün, den Stab in der Hand, Ähren in ihr Haar geflochten.
Demira brachte der Menschheit drei große Gaben: Ackerbau, Fürsorge und Handwerk. Sie lehrte uns, die Erde zu pflügen, zu säen und zu ernten, Tiere nicht zur Beherrschung, sondern zur Gemeinschaft zu halten. Doch ihre größte Gabe war die Fürsorge selbst – eine Tugend, die in jede Handlung des Pflegens, Heilens und Nährens floss, ob bei Kind oder Erde, Lamm oder Greis. Unter ihrer Führung lernten wir, Häuser zu bauen, Herden zu hüten und die ersten wahren Gemeinschaften zu gründen.
Ihr Atem brachte den Frühling, und ihre Tränen den ersten Herbstregen. Denn vor ihr gab es nur Sommer – endlose Sonne ohne Rast oder Erneuerung – und Winter, eine Zeit des Schweigens und Schlafes. Demira vollendete den Zyklus und schenkte der Welt den Frühling für Geburt und den Herbst für Ernte und Besinnung. Die Jahreszeiten wurden zu Speichen am Rad der Zeit, und das Leben begann sich zu drehen.
Doch wie immer folgt auf die Saat die Sünde.
Mit der Ernte kam der Überfluss, und aus dem Überfluss die Maßlosigkeit. Mit dem Handwerk kam der Reichtum, und mit dem Reichtum; Neid und Gier. Mit den Gemeinschaften kamen Gerüchte und Misstrauen gegenüber den Nachbarn – denn wo ein Mensch gedeiht, sucht ein anderer ihn zu entehren. So begann der Frieden, den sie genährt hatte, zu bröckeln. Die Sünden der Völlerei, der Habgier und des Zorns regten sich erneut. Ihre Fürsten – Zeb, Mammon und Moloch – kehrten zurück, mit Heeren der Verderbnis, gehüllt in Hunger und Feuer.
Demira, die den Sturm voraussah, verbündete sich erneut mit den Feen und schuf die heutigen Uralten Stelen – Monolithen, verwurzelt in den Ley-Linien der Schöpfung. Mit heiligen Inschriften und göttlichem Klang schützten sie die Gläubigen und standen als Leuchtfeuer gegen das herannahende Dunkel.
Doch die Flut der Sünde ließ nicht nach.
Das Göttliche, in Schmerz und Zorn, beschloss, die Welt in einer Sintflut zu reinigen. Doch Demira, in Trauer und aus Liebe, flehte um das Leben der Unschuldigen. Das Göttliche bot ihr eine Wahl: Um die Menschheit zu retten, müsse sie alles opfern.
Und sie tat es.
Demira schuf keine hölzerne Arche, sondern ein geistiges Heiligtum, gewoben aus ihrem eigenen Wesen. Mit ihren Hirten suchte sie die Würdigen. Als die Wasser stiegen und die Welt versank, hielt sie stand. Und als die Flut ihren höchsten Punkt erreichte, opferte sie sich selbst und belegte Zeb, Mammon und Moloch mit ewigem Fluch: Sie sollten hungern und nie gesättigt werden, begehren und nie erfüllt werden, toben und nie zur Ruhe kommen.
Von jenem Tag an trugen sie einen Splitter ihres Geistes wie glühendes Eisen in ihrer Seele. Wo sie einst Freude an ihrer Sünde fanden, fanden sie nun nur noch Leid.
Ihr Körper, unberührt vom Verfall, wurde über Axis Mundi schwebend gesehen und löste sich in Gnadentropfen auf, die auf die Reste von Protennoias Baum fielen. Ihr Wesen floss in die Ley-Linien ein und spann ein großes Netz aus Leben, Erinnerung und Kraft. Der Pax Dei – zerbrechlich, aber fortdauernd – wuchs aus ihren Wurzeln.
Bis heute, wenn der Herbstregen kalt und plötzlich fällt, sagen die Alten, es sei Demira, die weine – nicht um jene, die sie gerettet hat, sondern um jene, die sie nicht retten konnte.
—Thelonius der Schreiber
Credits, paintings:
The Age of the Ancients – Demira - Mucha, Spring, 1896